Workshop

Formen der Zeit

7. – 8. Juni 2017
eikones Forum

why should you wonder? it is not merely in art that the body is the soul. in every sphere of life form is the beginning of things. the rhythmic harmonious gestures of dancing convey, plato tells us, both rhythm and harmony into the mind. (…) the creeds are believed, not because they are rational, but because they are repeated. yes: form is everything. it is the secret of life.

Oscar Wilde, the critic as artist


Nichts, so scheint es auf den ersten Blick, hat weniger (mit) Form (zu tun) – Form, die seit der Antike immer wieder als das Bestimmende, Begrenzende, Feste gedacht wurde – als die Zeit, die Hegel mit Blick auf ihr ungreifbares, haltloses Verfließen auch «das reine Auseinander» nennt. Andererseits lässt sich argumentieren, dass bereits das vorsokratische Denken des Rhythmus einen der ältesten Formbegriffe der europäischen Tradition aus einer Reflexion auf den Fluss der Zeit entwickelt hat. Auch das moderne formtheoretische Denken ist von einem umfassenden Verzeitlichungsdiskurs untrennbar. Form wird spätestens ca. 1800 prozessual konzipiert und beschrieben, als Form in der Zeit und zugleich Form von Zeit. Daraus entwickeln sich Konzeptionen der Anschauung und damit der Morphologie, der Serialität ebenso wie der narrativen Formgebung und nicht zuletzt das poetologische Denken einer Form-des-Lebens, das sich von Friedrich Schlegels Theorie des Romans über Benjamin und Lukács bis Agamben fortsetzt.

Angesichts einer erneuerten transdisziplinären Debatte um Form vereint der workshop Beiträge, die exemplarische Konkretionen verschiedener Form(ierung)en von Zeit in Literatur und anderen Künsten in den Blick nehmen und / oder diese im Hinblick auf Fragenkomplexe diskutieren, die sich in der aktuellen Formdebatte abzeichnen, aber auch produktiv durchbrochen bzw. erweitert werden können. 

In der Folge eines häufigen Missverständnisses neuerer poetologischer Ansätze droht sich beispielsweise immer wieder ein Narrativ zu verhärten, das bestimmte Formbegriffe bestimmten Zeiten der Form zuordnet, die sich insbesondere an der Achse «um 1800» scheiden sollen: So wird eidetische, urbildhaft vorgegebene, zeitlose Form oft mit rhetorischen Figuren und traditionalen Einteilungen der Poesie in epische, dramatische und lyrische Formen korreliert und zu einem zeitlichen Prozessieren von (Un)Form in nachgattungspoetischer Literatur(theorie) in Opposition gesetzt. Ähnlich werden im Bezug auf andere Künste und kulturelle Artefakte gestalthafte Erscheinungsformen zeitlichen, «unsichtbaren» oder zumindest nur indirekt beobachtbaren Verfahrensformen entgegengesetzt. Die Beiträge zeigen, wie künstlerische Praktiken, Sprache und Poetiken diese Oppositionen durchkreuzen.

Daran anschließende Fragen sind: Wie formieren Literatur und andere Künste ihre Eigenzeiten? Wie stellen sie Unterscheidungsmöglichkeiten und Beziehungen zwischen Vergangenheiten, Gegenwarten und Zukünften her, wie machen sie Zusammenhänge zwischen (historischen) Zeiten erkennbar, die möglicherweise nicht homogen und diskontinuierlich sind?

Wie figurieren sich ästhetische Register wie Plötzlichkeit, Präsenz, Wiederholung / Variation, Augenblick und Akzeleration? Und wie lassen sich Ordnungen und Modi wie Vergänglichkeit, Ur / oder Vorzeit, (Natur)Geschichte aber auch Ungleichzeitigkeiten, Unzeitgemäßheit, Zu-spät-Kommen, Nachträglichkeit, Genealogie, Proliferation, Zeitgenossenschaft und Aktualität fassen?

Was sind Zeitbilder und wie bilden sie sich? Wie enthalten (literarische oder andere) Bilder Zeit und welche Zeitform liegt darin vor? Wie verhält sich die (Un)form des Romans zur Problematik der Formierung von Zeit? Was ist der Zusammenhang von Form und Erkenntnis, Form und Wissen der Literatur, der Bilder? Wenn literarische oder bildliche Formen der Zeit genuine Epistemologien der Zeit enthalten, ist dies dann nur eine unter verschiedensten literarischen / bildlichen Wissensformen – oder eine ausgezeichnete? 

In welchem Verhältnis stehen Rhythmus, Narration und Bild als Form(ierung)en von Zeit zum Begriff der Form eines Kunstwerks oder ästhetischen Form, wie sie in der philosophischen Ästhetik seit dem deutschen Idealismus über Adorno bis heute – im Kontext einer Entgrenzung der Künste – gedacht wird?

Wie können neuere und neueste formtheoretische Konzeptionen in
Bild-, Kunst-, Musikwissenschaften, Philosophie und Soziologie fruchtbar in poetologische Begrifflichkeiten übertragen werden und vice versa? Und warum sind formbegriffliche Ansätze für aktuelle Literatur- Bild- und Kulturwissenschaften überhaupt (noch oder wieder) relevant?

Programm

Mittwoch, 7. Juni 2017

09.15Begrüßung und Einführung
09.45Ralf Simon (Universität Basel):
Form versus Selbstreferenz;
Moderation: Rahel Villinger
10.45Kaffeepause
11.00Rüdiger Campe (Yale University): 
Die Zeit des Romans.
Goethes klassische Romanprojekte
«Hermann und Dorothea» und «Achilleis»
Moderation: Rahel Villinger
12.00Mittagessen
13.15Ralph Ubl (Universität Basel): Delacroix’ lyrische Form;
Moderation: Malika Maskarinec
14.15Sabine Schneider (Universität Zürich):
Wirrnis und Serie. Zeitlichkeiten des Landschaftsbildes
im poetischen Realismus (Keller, Der grüne Heinrich;
Stifter, Nachkommenschaften);
Moderation: Malika Maskarinec
15.15 Kaffeepause
15.45Malika Maskarinec (Universität Basel):
Form, Zeit und Format des Grünen Heinrich;
Moderation: Agnes Hoffmann
16.45Sandro Zanetti (Universität Zürich):
Formen literarischer Transaktualität.
Emily Dickinson und die Aufhebung der Zeit;
Moderation: Fabian Schwitter
17.45Apéro
18.30Kevin McLaughlin (Brown University):
Verschränkte Zeit. A Key to Benjamin‘s Biophilology;
Moderation: Fabian Schwitter

 

Donnerstag, 8. Juni 2017

09.15Rahel Villinger (Universität Basel):
Zwei Formen der Zeit oder Natur als
Bild bei Robert Musil;
Moderation: Micha Huff
10.15Birgit Erdle (Hebrew University of Jerusalem):
Momentaufnahmen. Literarisches Zeitwissen          
im philosophischen Text;
Moderation: Micha Huff
11.15Kaffeepause
11.30Fabian Schwitter (Universität Zürich):
Jahr und Tag;
Moderation: Agnes Hoffmann


Bild: Rebecca H. Quaytman: iamb, Chapter 12, 2008
(Quaytman, R. H.: Spine. Berlin: Sternberg Press, 2011, S. 198)



Konzept: Rahel Villinger

Referierende: Malika Maskarinec, Ralf Simon, Ralph Ubl, Rahel Villinger, Rüdiger Campe, Birgit Erdle, Kevin McLaughlin, Sabine Schneider, Fabian Schwitter, Sandro Zanetti

Downloads: Plakat, Programm

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